Wien. Tirolerhof. Kurz vor 12 Uhr Mittag. Schwungvoller Gang, der junge Mann. Jetzt grinst er auch noch. Sympathischer Junge. Ja ja. Überhaupt ist hier alles sympathisch. Das hätte er gar nicht erwartet.
Guten Tag, begrüßt ihn der Junge, ich hoffe ich bin nicht allzu spät.
Nein, überhaupt nicht. Zu früh. Ich war nur schon noch früher da, weil ich es nicht erwarten konnte, irgendwo einzukehren, also irgendwo hineinzugehen an so einem herrlichen Tag.
Ja, das Wetter ist herrlich. Wunderbar warm draussen, die Sonne, wirklich ganz toll.
Colt leert sein Achterl Veltliner. Der Ober, ganz Wien der alten Schule, kommt an den Tisch.
Möchtens noch eins und ihnen der Herr? Was darf ich bringen?
Der junge Journalist studiert die Karte. Der Ober schmunzelt. Colt überbrückt.
Gibt es statt diesem Achterl vielleicht auch ein Viertel Veltliner?
Natürlich. Auch an ganzn Liter.
Dann nehm ich erstmal noch ein Viertel davon bitte schön.
Und ich einen Tee, sagt der junge Journalist und dann gleich zu Colt gewandt: arbeiten sie an neuen Projekten?
Colt blickt auf den jetzt leeren Kaffeetisch. Blickt zu einer Frau am Nebentisch, zu Einer am Tisch neben dem Nebentisch.
Also, setzt er an, das Wort arbeiten möchte ich nicht so gerne mit mir in Zusammenhang bringen. Ich meine, ich bin froh, wenn ich eine Stunde am Tag etwas mache. Oder zumindest eine halbe. Das klappt natürlich nicht immer.
Der Ober bringt die Getränke.
Wollens Apfelstrudel die Herren, frisch, darf ich was bringen?
Ich..., antwortet Colt, muss auf die Figur achten, nein, danke.
Der junge Journalist winkt freundlich ab. Der Ober entfernt sich.
Also das was ich bisher gehört habe von ihren neuen Aufnahmen, fährt der Journalist fort, ist bei weitem interessanter als die sonst so üblichen musikalisch ausdifferenzierten Nabelschauen der sogenannten virtuosen Gitarristen, es ist ja meist eine bloße Zurschaustellung von Geschwindigkeit oder...
Der Ober kommt zurück an ihren Tisch.
Schmeckt ihnen der Pfefferminztee? Sind Bio Tees alle.
...ja danke...
Schön, sagt Colt zum Journalisten und zum Ober gewandt, ich...
Ist schon in Arbeit.
… sehr aufmerksam.
Ich übe schon lange.
… dieser Minimalismus in ihren Stücken, fährt der junge Journalist wieder fort, die Intensivität und auch Intimität. Es entsteht sofort eine Vertrautheit mit diesen unmittelbar ins Ohr gehenden Melodien. Ich nenne es übrigens, kreative, impressionistische, entschuldigen sie jetzt den Ausdruck, ich meine das in dem allerpositivsten Sinne, Spinntisierereien. Und Impressionistisch im Sinne von hingetupft.
Aha. Danke, sagt Colt und nimmt einen Schluck.
Sie haben ja ein Konzert morgen Abend im Club Tür 27. Ein Club, der zwar noch einen gewissen Undergroundstatus besitzt, aber auch als sehr hip, also als sehr modern gilt. Hauptsächlich junge Leute. Wie kam es dazu?
Wissen sie, antwortet Colt und nimmt einen Schluck vom Veltliner, es gab Zeiten, in denen die Nachfrage nach mir bescheiden bis überhaupt nicht vorhanden war. Jetzt entwickelt es sich gerade wieder ein wenig. Aber ich muss gestehen, dass ich so gut wie nichts zur Unterstützung dieser Entwicklung beitrage. Obwohl es mir gefällt, es mir angenehm ist. Ich bin ja gern unterwegs und verdiene auch gerne mal etwas. Gleichwohl ist mir mittlerweile aber auch alles ziemlich egal. Hauptsache ich bin, wie ich gerade meinte, ein wenig zumindest, flüssig. Ich meine, dass ich mir so einen Veltliner leisten kann hier. Herr Ober, Entschuldigung....
Bittschön der Herr, möchtens noch a Viertel?
… ja bitte.
Und wie kam es zu diesem Auftritt in der Tür 27?
Ach so. Das weiß ich gar nicht.
Der Ober stellt das neue Glas neben das fast noch halb volle alte.
Was mir auch immer sehr gut gefällt in ihrer Musik, ist der Bezug zu ihrer Heimat.
Ja, der hat sich aber erst sehr spät eingestellt. Mich haben sie ja rausgeworfen, damals, aus dieser Stadt. Die Stadtverwaltung, die Polizei, ich bin erst seit ein paar Jahren wieder rehabilitiert. Seit dem Erscheinen meines Buches genau. Es gab ja auch einen Generationswechsel. Die alten Blockierer, ich könnte auch sagen, die alten Nazis, sind weg. Eigentlich muss ich sagen, kommt mir die Stadt heute richtig modern vor.
Ich habe ein kleines Budget von der Redaktion..., sagt der Journalist jetzt. In seinem Ton schwingt süffisantes, ...also für den Fall, dass sie etwas essen möchten, es gibt da ein nettes Lokal, Zum hungrigen Kojoten, die Rechnung hier übernehmen wir natürlich auch. Ganz selbstverständlich.
Herr Ober...

Nun ins Whitneys Museum. Die große Jeff Koons Retrospektive.
Das siehst du nie wieder, sagt sie zu ihm.
Flotte Frauen sind da im Museum. Er ist richtig begeistert. Im zweiten Stock allerdings, da lässt es nach. Er schleicht sich davon, geht ins Treppenhaus. Mal sehen was da ist. Da sind gar keine Frauen. Also knackt er ein Bier. Als er es ansetzt, fällt sein Blick durch eines der Fenster. Fällt aufs Heck eines Bentleys. Leichter Qualm stößt aus dem Auspuff des Wagens. Ein Typ läuft schnell darauf zu. Es ist Jeff Koons. Koons steigt hinten ein. Der Bentley fährt ab. Er trinkt das Bier leer und geht wieder nach drinnen.
Wo bist du? Wo warst du?
Irgendwie isses mir zu warm mit der Jacke. Ich musste mal raus.
Häng sie dir doch um und lass sie hinten runterhängen. Die Schwarzen haben doch auch immer hinten so was runterhängen da immer.
Die Indianer auch.
Dann machs.
Gut wenn du meinst.
Jetzt haben wir den John Lennon Geburtstag verpasst. Das war im Central Park heute. Hätten wir hingehen und die Lieder mitsingen können.
Um Himmels Willen. Weißt du was? Berlin ist hundertmal cooler.
Na deswegen sind die ganzen Amerikaner ja auch in Berlin. Ich kann Jeff Koons nicht ab. Komm. Wir gehen ins MoMA.

Im MoMA reihen sie sich in die lange Schlange ein, die in der Garden Bar um Getränke ansteht. Ein Student versucht sich hinter dem Tresen. Als sie endlich dran kommen, sagt der Student: das IPA Bier ist aus.
So ein berühmtes Museum, aber nicht fähig eine Bar zu betreiben.

Wieder draußen begegnet ihnen eine Frau, die selbst er sofort erkennt.
Weißt du wer das ist?
Natürlich weiß ich wer das ist. Das ist Sarah Jessica Parker. Die wohnt hier um die Ecke. Ich hab dir doch gesagt, in Manhattan kenn ich mich aus. Los, wir gehen nach Queens jetzt.

In Quenns ist es sonnig, leicht windig. Das Museum dort sieht aus wie ein sesshaft gewordenes, steinaltes Tier. Sie gehen in den ersten Ausstellungsraum. Leer. Sie gehen in den zweiten Ausstellungsraum. Ebenfalls leer.
Na vielleicht haben die sich das extra so ausgedacht. Das ist oft so bei Kunst.
Ja, antwortet er. Er hat Lust auf ein Bier. Er hat noch zwei in der Jacke. Aber was, wenn sie ihn sieht. An so einem hoch heiligen Ort. Außerdem sind schon Leute in der Gosse gelandet von zu viel Bier. Also lässt er es lieber und schlendert mit ihr zum dritten Ausstellungsraum. Auch hier alles leer. Schweigend inspizieren sie die restlichen Ausstellungsräume auf dem untersten Stockwerk. Alle sind leer. Nur im Restaurant ist was los.
Hier kann man schön raus sehen, hier essen wir was.
Nein. Viel zu teuer.
Vielleicht ist im Hof was. Ich glaube da ist was.
Im Hof stehen vier Mülltonnen. An jeder Tonne hängt ein Plakat. Auf dem ersten steht: THROW, auf dem zweiten: YOUR, auf dritten steht: ART und auf dem vierten: AWAY. Er steht da und schweigt. Sie steht da, sieht sich um.
Hier is ja kein Mensch.
Ich glaube, wir gehen wieder rein und mal nach oben. Vielleicht kann man schön runter sehen von oben.
Sie gehen also ins erste Stockwerk. Auch hier alles leer.
Wo ist denn die Kunst?
Anscheinend haben sie schon alles weggeschmissen.
Das ist typisch Amerika, antwortet sie. Alles ein Bluff.
Vielleicht haben sie sogar das Personal weggeschmissen.
Das kann alles sein.
Womöglich im Namen der Kunst.
In der Kunst ist viel möglich.
Plötzlich und geheimnisvoll leise, sagt sie: hier ist was.
Tatsächlich sieht auch er jetzt zwei junge Frauen, die in einer für sie bisher uneinsehbaren Ecke an einem Tisch sitzen und mit ihren mageren Hintern auf den Stühlen herum rutschen.
Hm, brummt er. Sieht gut aus.
Ja. Mal was anderes, antwortet sie und lächelt ihn an. Die Frauen sind schön.
Der Tisch ist auch nicht so schlecht.
Na ja, die Beine sind doch schon verrostet.
Sie geht zu den Frauen.
Eine der beiden Frauen steht auf. Die Frau ist sehr groß.
Die Ausstellungseröffnung ist erst in zwei Wochen, flüstert die Frau ihnen zu. Sie können aber bereits jetzt ihre eigenen Kunstwerke bringen, die wir dann für sie hier installieren und die dann zwischen dem Tag der Eröffnung der Ausstellung und ihrer Schließung zerstört und weggeworfen werden. Wann genau, ist abhängig davon, wie viel hier sein wird. Jeder kann etwas bringen. Bringen sie ihre Kunstwerke oder ihr Kunstwerk und tragen sie sich einfach hier ein.
Da ist doch die Kunst.
Ja, antwortet sie. Ja, das ist Kunst. Wenn du jetzt etwas hättest von dir, könntest du ausstellen hier. Schade, dass du nichts von dir dabei hast.
Er zieht sein Notizbuch, greift nach dem Stift, zeichnet sein Lieblingsmotiv. Kreuz auf einem Hügel, zwei Gitarren hängen am Kreuz, auf dem Kreuz steht: DSK 2013. Reißt die Seite heraus und reicht sie rüber.
Super, sagt sie und nickt.
Die jungen Frauen fragen nach Namen, Geburtsort und Wohnort. Nach dem Titel der Zeichnung.
Der Stille Kommandeur, antwortet er.
Welchen Ausstellungsraum möchten sie gerne? Es ist noch alles leer.
Dann nehm ich den Größten.
Sie gehen in den größten Ausstellungsraum. Die jungen Frauen hängen die Zeichnung.
Sieht irgendwie gut aus.
Es sieht wie etwas ganz besonderes aus, antwortet sie. Nur diese kleine Zeichnung auf der großen Wand da. Jetzt hängt eine Zeichnung von dir in New York.
Bis sie in der Mülltonne landet.
Bis sie in der Mülltonne landet. Aber so lange hängt sie.
Die jungen Frauen begleiten sie in den Hof.
Dürfen wir ein Foto machen von ihnen?
Sie werfen Scheinwerfer an.
Du kommst noch in Feuilleton hier.
Die Kunst ist manchmal ganz schön mächtig, ich sags dir.
Ja. Komm, antwortet sie. Komm, jetzt essen wir was.

Krczycz legt den Gang ein und gibt Gas. Nach nur wenigen Metern fährt er den Bandbus wieder rechts ran. Ein etwas sonderbarer Typ steht am Strassenrand und winkt unschlüssig rüber. Trägt Sonnenbrille. Ist schlank. Seppotage reckt den Hals. Auch Steve Hahn beugt sich vor, um besser sehen zu können. Als schwant ihm etwas, sieht er zu dem Typ hin.
Dat is s doch der Dieter!
Nun mühen sich auch Biene und Markus Köstner von ihren Plätzen und sehen wie Steve aus den vorderen Fenstern. Es ist tatsächlich der Politkommunarde Dieter Kunzelmann, der sich bereits 1998 für tot erklärt hatte. Akkurat modern gekleidet. Knallrote Schiebermütze, knallroter Pollunder. Ganz aufrecht steht er da und winkt rüber zum Bus. Krczycz macht die vordere Bustüre auf. Kunzelmann schnappt, langt zum Haltegriff, seine Brille ist leicht beschlagen. Er sieht sich um. Wie er den Kopf so wendet, das hat etwas von einem Reptil. Jetzt sieht er nach hinten. Aus der zurückweichenden Beschlagung seiner Brille schälen sich Schemen. Jetzt sieht er Gesichter. Ihm bekannte Gesichter.
Oioioioioi.
Kunzelmann nimmt die Brille ab und sieht nochmal genau hin.
Oioioioioi. Wusst ichs doch! Oioioioioi!
Er ballt die Faust.
Männer! Übeltäter! Chaoten!
Dieter komm rein.
Kunzel steigt ein.
Ihr seid die letzten Revoluzzer! Steve! Colt! Oioioioioi!
Los Dieter komm rein.
Was macht ihr hier? Was ist das mit dem Bus da!?! Wo wollt ihr hin?!?
Kunzelmann steht wackelig im Einstieg. Steve lacht laut auf, geht auf Kunzelmann zu und zieht ihn nach drinnen. Kunzelmann schnappt.
Hier Dieter setz dich.
Kunzelmann setzt sich. Krczycz bringt ihm gleich Bier.
Ich trink kein Alkohol, wehrt Kunzelmann ab. Das ist nicht meine Droge.
Biene greift nach Tabak, dreht ihm eine Zigarette. Der Schwarze Abt kommt angeflogen. Mazzo wechselt die Sitzposition. Selbst Jovica schweigt.
Ich wollt in die USA..., fängt Kunzelmann an, wollt mir das MoMA ansehen, das PS1 in New York. Das macht n Deutscher. Die ham gute Ideen dort. Gute Leute. Bin ich da zur Clayalle, amerikanisches Konsulat...
Seppotage reicht ihm einen Joint. Andächtig zieht Kunzelmann zweimal daran.
...sieht der zuständige Beamte da, der war Geisel in Teheran, ihr wisst schon, diese Entführung, sieht der mich an, meine Papiere hatte der längst, und sacht: Herr Kunzelmann: Einreiseverbot. Ich, waaas!?! Herr Kunzelmann: Einreiseverbot. Ich, waaas wiesooo? Herr Kunzelmann, Einreiseverbot. Bin ich über Puerto Rico.

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